In meinem zweiten Eintrag befasse ich mich nochmals mit einigen Grundlagen der Feldenkrais Methode und der positiven Auswirkung von Entschleunigung auf die Konstruktion der Synapsen, unsere Autobahn im Gehirn. Schon im ersten Blogeintrag ging es am Rande um die Wirkung der Selbstwahrnehmung sowie der Entschleunigung auf unser Alltagsempfinden. Hier möchte ich diese Erkenntnisse in Zusammenhang mit unserer neurologischen Entwicklung bringen.

Da ich an anderen Orten dieser Seite schon ausgiebig über die Feldenkrais Methodik und deren Einzigartigkeit schwadroniert, man kann sagen geschwafelt habe, gehe ich hier davon aus, dass mein Leser mit den Grundlagen zumindest rudimentär vertraut ist.

Kurz: Mosché Feldenkrais war ein Judoka mit 20 Jahren Kampfsporterfahrung und Physiker; eine ungewöhnliche Mischung. Zu seinen Lebzeiten war seine Idee umstritten. Bei manchen Wissenschaftlern wurde er geschätzt, von anderen als irrational belächelt. Eine Tatsache die ihn verletzt hat. Obwohl seine praktischen Erfolge anerkannt wurden, wurde ihm akademischer Respekt oft verwehrt.

Zuspruch fand seine Idee und Methodik unter anderem von dem renommierten Neurobiologen Prof. Gerhard Hüther, welcher ein starker Verfechter von Feldenkrais zur Anti-Aging-Therapie, der Erhaltung und Stärkung von Denk- und Lernprozessen sowie zur Stressbewältigung ist. (siehe dazu u.a.: https://www.feldenkrais.de/presse/die-feldenkrais-methode-findet-ihren-platz-in-der-gesundheitspraevention).

Als ein bedeutender Grund für die Zunahme stressbedingter Erkrankungen wie Burn-Out, Depressionen, Suchterkrankungen oder Zwangsstörungen wird oft die steigende Belastung am Arbeitsplatz angeführt.

Meiner Meinung nach liegt der Fehler eher noch an einem Gesellschaftssystem, das durch ständige Beschleunigung und Reizüberflutung unsere kognitiven Fähigkeiten und unsere Möglichkeiten zur Verarbeitung und Filterung von Fremdeindrücken überfordert. Das Problem liegt an unser Alltagsgestaltung und dem allgegenwärtigen Zwang, optimal zu funktionieren und allen von außen gestellten Ansprüchen gerecht zu werden.

Oft leiden Menschen an Stress, da sie zu wenig Schutzmechanismen zur Stressbewältigung haben wie die Fähigkeiten zur Reflexion, der Bewusstheit der eigenen Situation und Möglichkeiten und dadurch ihre Alternativen aus dem Blick verlieren. Das schafft Unsicherheit und das Gefühl von Hilflosigkeit, was sie dann noch mehr Stress erleben lässt.

Das dahinterliegende Problem heißt also Beschleunigung und eine Lösung könnte gezielte Entschleunigung sein.

Dies ist bei weitem kein neuer Gedanke. Wie schon in einem meiner Lieblingsbücher, „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny über den Seemann und Entdecker Sir John Franklin, der wegen seiner Langsamkeit gehänselt und dennoch zu großen Leistungen befähigt war, gilt auch bei Feldenkrais und in der Entwicklung von synaptischen Verbindungen das Prinzip der Langsamkeit, der Bedächtigkeit. In dem Roman verfügt der Protagonist über ein außergewöhnliches Gedächtnis, Weltoffenheit und große kognitive Talente trotz, oder genau wegen seiner Langsamkeit und angeblichen Ungeschicklichkeit.

Der nicht autobiografische Roman basiert übrigens lose auf dem realen Kapitän Franklin, der mehrere Forschungsreisen zum Polarkreis unternahm und schließlich auf seiner letzten Expedition mit der HMS Terror verschwand. Mit diesem Verschwinden hat sich ein anderer Autor, Dan Simmons, in seinem Roman „Terror“ beschäftigt, den man inzwischen verfilmt hat und welcher auf Amazon gestreamt werden kann.

Laut Mosché Feldenkrais und Professor Hüther, sowie aufgrund neuester Ergebnisse der Hirnforschung werden Erfahrungen gleichzeitig auf physischer, psychischer und kognitiver Ebene miteinander verbunden.

In Fachkreisen nennt man das „Embodiment“ und unser Gehirn scheint besonders gut dauerhaft wirksame Verbindungen (Synapsen) zu bilden, wenn ihm neue Lektionen, unerheblich ob körperlicher, geistiger oder emotionaler Natur, bedacht, bewusst und absichtlich langsam zugeführt werden.

Natürlich wirken sich auch andere Faktoren, wie soziale Interaktion, Aktivierung der Phantasie oder medizinische Vorsorge positiv auf die Entstehung und Nachhaltigkeit der Synapsen aus, jedoch spielt speziell das bewusste langsame Verinnerlichen, das organische Lernen und Neugierde eine entscheidende Rolle bei der Stressbewältigung und beim Lernen bis ins hohe Alter.

Dieselben Faktoren liegen der Feldenkrais Therapie zu Grunde. Feldenkrais dient hier als eine Art Katalysator. Doch anstatt im Auto eine chemische Reaktion herbeizuführen, führt es zur Schaffung chemischer und elektrischer Verbindungen im Gehirn selbst. Durch das Erkennen von Mustern, durch das bewusst machen automatisierter Handlungen um diese dann kleinschrittig (also eine nach der anderen) zu entziffern und neu in den Alltag zu integrieren, wird das Gehirn stimuliert, neue Kontaktpunkte zwischen den Neuronen zu bilden. Dazu gehört auch, die Entscheidung zu treffen, Veränderungen zu akzeptieren, um so das eigene Körper- Gedanken- und Emotionssystem neu zu programmieren.

In diesem Sinne sind es gerade die kleinen Veränderungen, Kleinigkeiten, die eine große Wirkung auf uns haben.