Was ist Feldenkrais?

Feldenkrais als Lernmethode

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Feldenkrais wurde entwickelt von und benannt nach Moshé Feldenkrais, einem 1904 in Russland geborenen Wissenschaftler und Kampfsportler. 1944 bildete er britische Soldaten im besetzten Frankreich in der Kunst des waffenlosen Kampfes aus, als er sich bei einem schlimmen Unfall einen Kreuzbandriss zuzog. Die damals übliche Behandlung der Verletzung war die permanente Versteifung des Gelenks durch eine Operation. Das lehnte Feldenkrais für sich ab und machte sich stattdessen daran, herauszufinden, ob es nicht Alternativmöglichkeiten geben könnte. Er experimentierte mit den Bewegungen, die ihm noch möglich waren, wie er diese variieren und zusammensetzen konnte und schließlich entwickelte er eine Theorie, wie man lernen könnte, den eigenen Bewegungsapparat wahrzunehmen und so Schmerzen zu vermeiden. Das, was andere für Unmöglich gehalten hatten, hatte Feldenkrais erreicht. Angespornt durch die erfolgreiche Behandlung des eigenen Körpers begann er seine Erkenntnisse in einer Studie zusammenzufassen und diese der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Er nannte diese Theorie „Bewusstheit durch Bewegung“, welche die Grundlage der heutigen Feldenkrais-Methode darstellt. Er eröffnete 1952 das erste Feldenkrais-Institut und bildete dort die ersten Feldenkrais-Lehrer aus.

Obwohl seine Methode schon über 70 Jahre alt ist, wurde Moshé Feldenkrais selbst die wissenschaftliche Anerkennung seiner Arbeit zu Lebzeiten verwehrt. Die Methode wurde erst in den letzten 30 Jahren offiziell anerkannt und hat sich seitdem verbreitet und als alternative Heilmethode etabliert. Innerhalb Deutschlands organisieren sich Lehrende der Feldenkrais-Methodik im Feldenkrais Verband Deutschland e.V.. Dieser zählt ca. 2.000 Mitglieder. Mittlerweile gibt es reine Feldenkrais-Praxen sowie therapeutische Einrichtungen und Kliniken, die ebenfalls Feldenkrais anbieten. Es werden Einzel- und Gruppentherapien sowie Seminare zu Feldenkrais deutschlandweit angeboten und Feldenkrais wird in über 70 Kliniken praktiziert.

Feldenkrais ist eine ganzheitliche Lernmethode, die darauf abzielt, neue Wege und Möglichkeiten zu finden, um physische und mentale Ziele zu erreichen. Sie dient dazu, die Leistungsfähigkeit, Beweglichkeit und Kreativität zu steigern, Haltung und Koordination zu verbessern und Fehlbildungen und schmerzliche Zustände abzubauen. Hierbei werden nicht nur alte Bewegungsmuster durch neue ersetzt, sondern durch Stimulation neue neuronale Synapsen und Netzwerke im Gehirn geschaffen.

Dies ist kein rein körperlicher, sondern primär ein psychischer Ansatz, da für Moshé Feldenkrais Körper und Geist immer im Zusammenhang stehen und optimal auch im Einklang agieren: „Was mich interessiert, sind nicht bewegliche Körper, sondern bewegliche Gehirne.“ (Moshé Feldenkrais). So sind erfolgreiche Feldenkraistherapien nicht auf den Körper allein begrenzt, sondern durch Erlernen der gesünderen, effizienteren Bewegungsabläufe schulen die Teilnehmer zusätzlich Gehirn und Persönlichkeit.

Die Bewusstheit über den eigenen Körper, der Umgebung und der Gedanken wirkt sich dauerhaft auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Feldenkrais-Schüler aus.

Da psychische Probleme sich stets auf den Körper auswirken, entsteht durch den bewegungsorientierten Ansatz der Effekt, dass sich die Praktizierenden nicht nur physisch, sondern auch psychisch lebendiger und wohler fühlen. Wer sich bewusst wahrnimmt und bewegt, wird auch in anderen Lebenslagen und Situationen diese neu gelernte Bewusstheit an den Tag legen. Der Wunsch nach einem gesteigerten Selbstwertgefühl, nach mehr Lebensqualität, körperlicher und geistiger Fitness, aber auch nach einem Ende chronischer Schmerzen sind gute Gründe, Feldenkrais als Therapieform für sich zu entdecken. 

Im Gegensatz zu anderen Lehren ist die Feldenkrais Methodik nicht mit Anstrengung verbunden. Ihr Entwickler nahm für die Erklärung seiner Methode Kinder als Beispiel: Kinder lernen organisch und unbewusst, sie klettern, robben, kriechen, krabbeln und loten so selbst spielerisch ihre Bewegungsoptionen aus. Ganz mühelos, selbstverständlich und ohne Lehrer, der ihnen die korrekte Motorik zeigt oder erklärt. Ihre intrinsische Motivation, die Befriedigung, die sie durch ihr Handeln erfahren, lässt sie alle Abläufe instinktiv ausprobieren und aus Fehlern und Erfolgen mit Leichtigkeit lernen. Feldenkrais als Bewegungstherapie macht sich diese Art des organischen, körperorientierten Lernens zu Eigen. Die Lernenden werden systematisch dazu angeleitet, ihre Bewusstheit, Wahrnehmung und ihr Handeln zu erkunden, zu erfahren, zu verändern und schließlich ihr eigenes Potenzial zu erweitern.

Der körperliche Zugang zu Feldenkrais eröffnet auch neue Möglichkeiten zum sozialen Lernen. Durch die anfangs ungewöhnlichen Bewegungsabläufe erfahren Kinder sich besser wahrzunehmen und auf sich und ihre Umwelt besser zu achten. Sie erkennen selbstständig, ihr gewohntes Verhalten zu hinterfragen und neue Optionen im Umgang miteinander zu entdecken. Dies lässt sich oftmals eine Weltanschauung eröffnen, wo die Andersartigkeit der Mitschüler oder Freunde als Bereicherung statt als Fremde erlebt wird. Ein respektvollerer Umgang und mehr Toleranz miteinander sind die Folgen.

Feldenkrais als Lebenseinstellung

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Feldenkrais ist mehr als nur eine Methode oder Therapieform, es ist eine Lebenseinstellung. Praktizierende begleitet Feldenkrais im Alltag, im Beruf, in zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Schüler lernt, einseitige Bewegungsabläufe und Denkmuster zu erkennen und kreative Alternativen zu finden, um sich das Leben zu vereinfachen. Gewonnene Gelassenheit, das Verständnis und die Akzeptanz über das eigene Selbst nimmt den Stress und Zwang zur Perfektion.

Selbsterkenntnis schafft das Verständnis über uns, wer wir wirklich sind und warum wir in unserem Muster handeln.

Das Verlassen unserer Komfortzonen sowie die dadurch einhergehenden Veränderungen sind bei vielen Menschen mit Ängsten behaftet. Jedoch ist es notwendig über seine eigenen Grenzen zu gehen, um Selbstbewusstheit, Wohlbefinden und mehr Lebensqualität zu erlangen.

Es erfordert Mut das Fremde zuzulassen. Neugierde und kindliche Begeisterungsfähigkeit helfen, den notwendigen Schritt zu gehen. Das Überwinden selbst gesetzter Grenzen, das Loslassen von Altbekanntem und die wichtige Erkenntnis, dass der Weg das Ziel ist, bilden die Quintessenz von Feldenkrais. Bei Feldenkrais werden Teilnehmer zu Schülern und studieren über innere Reflektion und Bewusstheit das Lernen selbst.

Unsere 7 Feldenkrais-Prinzipien

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Koordination ist kein ins Gehirn eingeschriebenes Talent, sondern die Fähigkeit motorische Probleme zu lösen. Lösungen werden optimaler Weise durch vielfältige Variationen gefunden. Nicht die häufige Wiederholung einer augenscheinlich „richtigen“ Handlung führt zum Erfolg, sondern viele verschiedene Abwandlungen davon. Das Variieren erst versorgt das Gehirn mit neuen sensorischen Informationen, die es braucht, um neue Synapsen zu bilden. So entsteh ein neuronales, elektrochemisches Netzwerk, welches sich sowohl auf Handlungen und Fertigkeiten, wie auch auf das Verhalten überträgt.

Wenn wir bspw. In der Schule etwas lernen sollen, wird uns oft nur eine Möglichkeit vorgegeben, wie und was wir zu lernen haben. Abweichungen von dem vorgegebenen Lösungsweg werden korrigiert. Dadurch wird uns die Chance genommen, Fehler zu machen, andere Optionen auszuprobieren und daran zu wachsen. Obwohl besonders Fehler notwendig sind, damit Verbesserungen entstehen. Hier liegt eins der Hauptprinzipien der Feldenkrais Arbeit!

Entscheidend ist es, das Interesse auf organische Art und Weise zu wecken und unterschiedliche Möglichkeiten auszuprobieren.

Als Kinder suchen wir ständig neue Variationen und probieren uns aus. Leider geht uns diese Neugier und Lernbegeisterung mit dem Heranwachsen oft verloren.

Um also Lernschwierigkeiten sowie die Art unseres Handelns und Lernens zu verändern, sollten wir uns der Fähigkeit erinnern, welche wir als Kind so instinktiv beherrscht haben: spielen!

Spielen ist eine angenehme und belebende Strategie und regt zum Experimentieren an. Dadurch wird auch das Gehirn stimuliert und aufgefordert, durch neue Lösungen eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster aufzulösen. Es ist wichtig, sich dem Ziel aus verschiedenen Richtungen zu nähern, um flexibel, neugierig und offen zu bleiben. 

Wenn wir ein besonders gutes Resultat in einer Aktion erreichen wollen, setzen wir oft reflexartig mehr Kraft ein. Durch zusätzliche Anstrengung und Aufbringung all unserer Kräfte versuchen wir ein besseres Ergebnis hervorzurufen. Koordination und das Erkennen der Abläufe sind ungleich wichtiger als Kraft. Wenn wir z.B. den Aufschlag beim Tennis trainieren wollen, bringt es wenig, einfach fester draufzudreschen. Das wäre im Gegenteil kontraproduktiv. Stattdessen sollten wir uns den gesamten Bewegungsablauf bis der Schläger schließlich auf den Ball trifft verdeutlichen und entsprechend koordinieren. Das bedeutet: Je weniger Kraft wir aufwenden, desto mehr können wir wahrnehmen.

Gerade bei besonders aufwändigen körperlichen Aktionen, wie z.B. Seiltanzen oder Klettern sind es die Wahrnehmung feinster Unterschiede in den Bewegungsabläufen, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Dazu gesellt sich mit zunehmender Erfahrung eine gewisse Eleganz in der Körperkoordination. Oft wirken die schwindelerregenden Aktionen eines Trapezkünstlers so verspielt und elegant, dass sie uns Zuschauern als leicht erscheinen. Dabei kommt die Eleganz des Akrobaten von der Fähigkeit, sich und seine Umgebung genauestens wahrzunehmen und bewusst und umgehend auf noch so kleine Veränderungen reagieren zu können.

Voraussetzung für einzigartige Erfolge ist Leichtigkeit – eine Kunst, die lebenslanger Praxis bedarf.

Auch wenn unser Alltag von Geschwindigkeit geprägt ist und diejenigen zu belohnen scheint, die als erstes ins Ziel kommen, gilt bei dem Erlernen von Fertigkeiten das Prinzip der Langsamkeit. Obwohl Langsamkeit mit Trägheit, Dummheit oder Warterei assoziiert wird, ist sie Grundvoraussetzung zur Optimierung von Lern- und Entwicklungsprozessen. Es geht sogar so weit, dass Hast und Eile unseren Lernprozessen entgegenstehen und wir nur mit Geduld und Bedachtheit wirklich effektiv etwas Neues lernen können.

Wenn wir etwas absichtlich langsam tun, erregt das das Interesse des Gehirns und es erhält die Möglichkeit, zwischen Aktionen feine Unterschiede zu erkennen. Durch langsame Abläufe erhält das Gehirn das notwendige Feedback, um dauerhaft neue neuronale Netzwerke zu bilden. Wir bemerken, was geschieht und wie es geschieht.

Auf Feldenkrais übertragen bedeutet das, dass die vorgeschlagenen Bewegungen möglichst langsam und präzise auszuführen sind, um das Zusammenspiel aller Körperelemente in ihrem Zusammenhang zu erkennen und Lernfortschritte möglichst dauerhaft abzuspeichern.

Ein großer Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen sind deren natürlicher Enthusiasmus und Wissensdurst. Kinder entdecken die Welt spielerisch und angstfrei. Sie erfahren durch Ausprobieren und Experimentieren viel von ihrer Umgebung und steigern so dauerhaft ihre Wahrnehmung und Koordination. Diese kindlichen Eigenschaften sind bei Erwachsenen oft eingeschränkt, verkümmert und verloren gegangen. Dabei sind es eben diese Qualitäten, die unser Gehirn bis ins hohe Alter wach und aufnahmefähig erhalten. Die Begeisterung und komplette Hingabe für eine Idee oder Sache erfüllt uns mit Motivation und Neugierde. Wir Erwachsenen müssen versuchen, uns diese Hingabe zurückzuholen und sie in unser Leben zu reintegrieren.

Wir sollten möglichst natürlich, mutig, neugierig und unvoreingenommen sein, um wichtige Neuerungen und Veränderungen in unserem Leben zuzulassen. Dafür ist es notwendig, sich zu öffnen und sich mit Hingabe auf die Lektionen einzulassen. Um organisch zu lernen, sollten wir jeden Moment als einzigartig ansehen und annehmen. Wir dürfen uns ungewohnten Denkweisen und Bewegungen gegenüber nicht verschließen, sondern müssen uns ihnen hingeben. Nur so können wir uns auch als Erwachsene ständig weiterentwickeln.

Moshé Feldenkrais sagte: „Bewegung ist Leben. Ohne Bewegung ist Leben undenkbar. Das ist nicht nur eine Quintessenz von Feldenkrais, sondern auch eins der Merkmale für Leben in der Biologie. Jedoch gibt es zwei unterschiedliche Bewegungsarten: automatisierte Bewegung und achtsame, bewusste Bewegung. Die Achtsamkeit in Bewegungen einzubringen kann der Schlüssel sein, um Beschränkungen, Blockaden oder Schmerzen zu lindern.

Während automatisierte Bewegungen nützlich sind alltägliche Handlungen fast unbewusst zu erledigen, dienen achtsame Bewegungen dazu, schwierige, neue oder kritische Aktionen durchzuführen. Speziell wenn es um Änderungen in unseren normalen Abläufen geht, ist Achtsamkeit unabdingbar. Sie versorgt uns und unser Gehirn mit notwendigem Feedback, lässt uns die sensorischen Rezeptoren in Gelenken, den Faszien, Muskeln, in der Haut und in der Knochenkette spüren und erkennen.

Es ist erwiesen, dass automatisierte, achtlose Bewegungen im Gehirn auf wenig Reaktion treffen, während, wenn wir uns für die geplante Bewegung Zeit nehmen und darauf achten, was in unserem Körper passiert, im Gehirn selbst ein Lernprozess stattfindet. Schnell beginnt es neue Verknüpfungen zu bilden und damit neue Bewegungsoptionen zu eröffnen. Positive Nebeneffekte der achtsamen Bewegungsmuster können neue Denkweisen, wirkungsvollere Handlungen, erweiterte Beziehungsmöglichkeiten und Schmerzfreiheit sein.

Moshé Feldenkrais war ein passionierter Judoka und sich als solcher des Prinzips des „sanften Weges“ bewusst. Als Folge der achtsamen Wahrnehmung eines Widerstandes verschwindet dieser häufig. Dies wird in der Psychologie „Paradoxe Intervention“ und beim Judo als „Siegen durch Nachgeben“ bezeichnet.

Das Prinzip des Nachgebens lässt sich nicht nur auf Bewegungen anwenden, sondern gilt auch für kognitive Prozesse sowie soziale Interaktionen.

Neugierde wird durch Wachheit, Angstfreiheit, Interesse und dem Drang die Welt zu erkunden gestärkt und bedingt. Leider gehen uns im Laufe unseres Lebens viele dieser Grundeigenschaften durch Stress, Abgeklärtheit und Alltag verloren. Zwar kann es sich zuerst ungewohnt oder sogar beängstigend anfühlen, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen, allerdings können wir uns nur dadurch weiterentwickeln. Laut Alexis Carrel: „Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben“.

Neugierde sorgt für die nötige Motivation mit Begeisterung an ungewohnte Aufgaben heranzugehen. Durch sie wird uns erst die Möglichkeit gegeben, durch Variation und Achtsamkeit das Gehirn zu stimulieren und so wichtige Synapsen und Netzwerke zu kreieren.

Bei Feldenkrais sollten Bewegungen achtsam und langsam ausgeführt werden, sodass sie zu jeder Zeit angehalten und umgekehrt werden können.

Die Wirksamkeit der Feldenkrais Methode beruht dementsprechend darauf, über unsere Bewegungen mit dem Gehirn zu interagieren, um es zur Bildung neuer Muster zu motivieren. Das Gehirn hat den Drang, sich zu entwickeln und immer präziser und wirksamer zu arbeiten. Die Umkehrung von angefangenen Bewegungen verdeutlicht dem Gehirn den komplexen Vorgang der entsprechenden Bewegung in ihrem Fluss. Sie steigert die Bewusstheit.

Eine Maxime von Feldenkrais lautet entsprechend: „Nur wenn wir wissen, was wir tun, können wir tun, was wir wollen“.